Ouessant/Finistere – shooting at the end of the world

Enez Eusa (Ouessant) – es gibt sie ja immer diese Locations, die in jeder Hinsicht faszinieren, wo man mal viel viel Zeit haben möchte, wo fotografisch eine irre Spielwiese vor einem ausgebreitet liegt. Mangels Finanzierung oder aus Zeitmangel macht man das dann oft nicht. Dieses Jahr hatte ich das Gefühl ich müsste mal anfangen endlich meine Liste der ungestillten fotografischen Wachträume zu realisieren. Ouessant und seine Küsten und die schwere Atlantikwelle, die gegen die Küste donnert – das war so eine fixe Idee, die sich festgesetzt hat – ziemlich inspiriert durch Kellermanns Roman “Das Meer” – einem Reise-Roman aus dem Beginn des letzten Jahrhunderts der sich auf Ouessant abspielt. Also kurzerhand auf der Insel gebucht und Mitte September dann alleine mit viel Fotoequipment nach Westen gefahren. Praktischer Side-Effekt: auf der Insel vollzieht sich seit Mitte des 20. Jh ein Landnutzungswandel – dominiert durch den Tourismus und die Überalterung der Inselbevölkerung: die Nutzung der Landoberflächen für den Anbau von Gemüse und Getreide wurde aufgegeben und so holt sich die Natur all diese Flächen zurück. Eine durch die klimatischen Gegebenheiten bestimmte Ausbreitung unterschiedlicher Gebüschvegetationstypen und angepasster Atlantikküstenvegetation ist die Folge. Dies lässt sich gut in aktuellen Luftbildaufnahmen und solchen von 1952 darstellen. Dieser Prozess ist nicht auf die Insel Ouessant beschränkt und lässt sich auch in anderen Küstenregionen der Bretagne wiederfinden.

Insgesamt also genug Gründe, die Insel genauer anzusehen. Die Einschiffung nach Ouessant erfolgt über Le Conquet oder Brest (via Le Conquet und Ile de Molene) und läuft recht routiniert über das Online Buchungssystem von Pen Ar Bed. Die Schiffe verkehren idR 2x pro Tag und sind groß genug, um auch derbes Wetter wegzustecken. Gepäck und Fahrräder werden per Container verladen, da das Einsteigen und Aussteigen je nach Wellengang auch ohne Gepäck etwas problematisch sein kann – zumindest auf Ouessant. Die kleineren Touristenfähren von Camaret sur Mer sollte man allerdings bei schwerem Wetter meiden, wenn man nicht gerade Lust auf eine Schleudertour hat. Insbesondere kurz vor Ouessant geht es durch ein Gebiet mit einer der stärksten Strömungen an Europas Küste (Le Fromveur) und hier kann es recht ungemütlich werden. Leider war zu meiner Reisezeit das Meer recht befriedet, die Hoffnung auf die großen Atlantikwellen, die donnernd die Westküste erschüttern wurde leider enttäuscht, trotzdem ist diese Insel dann nicht nur wissenschaftlich ein faszinierendes Ziel. Wenn man mit den Auto anreist, dann kann man gut auf dem Langzeitparkplatz “Parking des |les” in Le Conquet gleich neben der Gendarmerie parken und von dort zum Hafen losziehen.

Nach dem Einchecken in ein leider mit Feuchtigkeitsproblemen kämpfendes kleineres Airbnb Haus (nächstes Mal doch etwas Teures nehmen oder gleich ins Spa oder die Jugendherberge – je nachdem ;) ) ging es die nächsten Tage mit dem Bike kreuz und quer über die Insel zur Kartierung der Vegetationseinheiten und nach dem nachmittäglichen Kaffee mit Stärkung im Le Roc’h Ar Mor (tief stehende Sonne im Herbst hier mit gutem Espresso genießen – Tipp!) auf Phototour an die vielen Spots der Küstenlinie. Da Ouessant viel weiter im Westen liegt als Berlin verschiebt sich der Sonnenuntergang um eine Stunde nach hinten – recht praktisch! Dann aufs Bike und bis in die Nacht hinein an die Westküste zum Foto-Shooting. Die Insel erscheint zwar flach, aber durch die vielen Granitkomplexe und eine Störung, die die Insel teilt, gibt es eine überraschend dynamische Geomorphologie – zusammen mit dem vorherrschenden Westwind kann es sportlich werden. Hier und da ist ohne gute Gangschaltung nix zu machen. Ein gutes Fahrrad ist also echt ein Fun-Faktor auf der Insel – Bikes lassen sich allerdings auch recht gut überall leihen – z.T. auch ganz ansehnliche e-Bikes. Die viele Bikerei auf der Insel macht Laune, man kann durch die maximale Erstreckung von 7,5 km Distanz auf der Insel (Phare du Stiff -> Point de Pern) alles fix erreichen und baut über Tage sogar mehr Fitness auf, wenn man alle wichtigen Spots zu verschiedenen Tageszeiten immer wieder besuchen will. So kennt man dann nach einer Weile so ziemlich alle direkten Wege zu den entsprechenden Klippen auf der Insel und kann die besten Perspektiven dann auch sehr schnell wieder erreichen. Gut das es einen feinen Bäcker mit morgendlich frischen Croissants und Baguette Tradition in Lampaul gibt, wo man sich immer wieder versorgen kann. Überhaupt ist die Versorgungslage entgegen dem ersten Eindruck recht gut auf der Insel. Zwei Einkaufsläden bieten so ziemlich alles an, was man braucht, von gutem schottischen Single Malt bis zur Bio-Hafermilch und allen gängigen Obst- und Gemüsearten. Also auch einer Woche mit kochen auf hohem kulinarischem Niveau steht eigentlich nix entgegen. Wer Lust auf Fisch und Hummer hat, der/die kann sich bei Ondine im Zentrum von Lampaul am Morgen den frischen Fisch aus dem Fischladen neben der Kirche holen. Im September waren am Abend die beiden größeren Kneipen in Lampaul bis 23 Uhr immer gut gefüllt – ich hatte aber keinen der Läden getestet, da immer auf Motivsuche unterwegs am Abend :).

Wichtigstes Equipment auf diesem Trip und generell für die Shootings an der Küste: gute Stative: ich hab Systematic Gitzo Stative mit Edelstahlspikes mitgenommen – für einen stabilen vibrationsfreien Stand nutze ich hier und da zwei, um die Teles gut zu stabilisieren, außerdem diverse unterschiedlich starke Neutralgraufilter (Einschub 52mm für das 300mm, 77mm für das 70-200er und das 24-70 und 150mm Platten für das 14-24mm), bin schon seit einiger Zeit mit Nikon D850/810 unterwegs, aber natürlich gehen auch andere Hersteller, zusätzlich nutze ich noch eine NIR konvertierte Nikon D800. Bei den Optiken hatte ich bis auf das Makro und einigen Spezialisten (10.5mm) alles dabei: also 11mm, 14-24mm, 24-70mm, 70-200mm und 300mm Linsen. Für die Kontrolle der Langzeitbelichtungen den Zakuto Viewfinder. Mit dem kann man perfekt den Lifeview auch bei viel Sonne kontrollieren, 1.4x & 2x TC-E Konverter für mehr Kompression und Reach. Das 400mm-f-2-8 hatte ich dann doch zu Hause gelassen. Die sehr großen Linsen haben bei viel Wind einen entscheidenden Nachteil: gerade mit Gegenlichtblende sind diese großen Optiken sehr windanfällig, daher nur 300mm und mehr Tele dann durch die Konverter. Außerdem Kabelauslöser und eine DJI P4 Pro. Zusätzlich natürlich volle Schlechtwetterausrüstung, Aquatech Shields und mein Surly Bike mit 4 Ortliebtaschen. Alles in allem recht viel Kram für einen Fahrradtransport, aber machbar, wenn man sich sonst etwas einschränkt.

Übersicht der wichtigsten Spots – (meine Hinweise hier sind sicherlich nicht für Reisefotografen geeignet. Mich interessiert die Dokumentation einer Region als Reiseziel wenig, vielmehr versuche ich grafisch möglichst abstrakte natürliche Strukturen herauszuarbeiten).

  • Point de Pern!, Point de Porz Men (meine Favoriten, beide Spots sind spektakulär bei Westwind Welle und hier lassen sich auch viele neue starke Perspektiven mit kurzen Wegen finden, außerdem die Steintürme mit viel Potential für Abstraktes),
  • Phare du Creac’h (leider in 2021 und bis 4.2022 eingerüstet wegen Restaurierungsarbeiten! bei Nacht absolut beeindruckend und bei schwachem Nebel ein Feuerwerk, die Klippen vor dem Phare du Creac’h sind über Betontreppen z.T. erreichbar, aber Warnschilder sorgen für gehörigen Respekt vor der Klettertour – bei viel Wind sollte man das eindeutig lassen, obwohl hier ein paar nette Perspektiven warten),
  • Plage de Yusin/Palud Meur, Penn Ar Ru Meur (insbesondere in den Abendstunden nach Westen von den Klippen ergeben sich einige epische Perspektiven),
  • Point de Kardoran (abends nach Westen, aber etwas weniger irre als am Meur),
  • Phare du Stiff (rotes, rotierendes Signalfeuer – recht schick bei Nebel und Fernblick auf Creac’h am Abend mit einem starken Tele),
  • Point de Pen Arlan (am frühen Morgen mit den Menhirs im Vordergrund und Blick zur Ile de Molene).
  • Plage d’Arlan mit schönem Strand und herrlichen türkisen Farben.
  • An den östlich gelegenen Spots ist der Leuchtturm Kereon schön vor Molene zu sehen und bei frühem Licht ein Tipp, auch den Fromveur Strom sieht man hier bestens.
  • Sicherheit ist an den Klippen insb. im Westen durchaus ein Thema, an einigen Stellen geht es fix in die Vertikale, bei viel Wind kann man hier schnell die Kontrolle verlieren, daher sind einige Spots und Kletterpartien nur sicher bei Schwachwindbedingungen erreichbar/machbar und das Bike sollte man irgendwo weiter weg liegen lassen. Macht null Sinn hier etwas zu riskieren – btw: vernünftige medizinische Versorgung ist hier weit weg … .
  • Wenn es dunkelt auf die Nebelentwicklung achten – die Leuchtürme (Creac’h und Stiff) ziehen dann mit Ihren rotierenden Leuchtfeuern ganz unwirkliche Lichtstrahlen über die Insel. Die Tiefenwirkung ist enorm und erhellt des Nachts dann sowohl Wasseroberflächen als auch die Klippen hier und da. Im September kondensiert es dann aber schnell mit der Dunkelheit (wenn es nicht gerade soundso Regen gibt) und bei Langzeitbelichtungen muss man dann die Linsen andauernd polieren (besser: Objektiv-Heizung!).
  • Schöne Vordergrund- oder Hintergrund-drops sind die alte Kirche und zwei alte Windmühlen beim Phare Creac’h, außerdem gibt es einige Ruinen am Point de Pern, die man in Szene setzen kann. Verlassene Gehöfte oder alte Gemäuer findet man aber überall.
  • Nebel bildet sich oft zuerst zwischen den Inselhälften (Trennung durch die Störung im Haupttal der Insel). Kann dann bei einsetzendem Wind auch ganz fix völlig weggeblasen werden.

Ein guten Überblick über die verschiedenen Spots gibt eine Ouessant Karte vom “International Photographer“, die man sehr empfehlen kann (konnte man zumindest in 2021 auch auf der Insel kaufen). Wie immer sind das aber eher “Starting Points” für die eigenen Erkundungen der Küste. An den interessanten Stellen der Küste ist die Karte dann doch nicht detailliert genug.

Ouessant ist in vieler Hinsicht ein magischer Ort – nicht nur aus wissenschaftlicher und fotografischer Sicht. Durch die deutlich abgeschiedene Insellage herrscht eine total entschleunigte Grundstimmung auf der Insel. Die Leute schließen ihre Häuser selten ab, Fahrräder werden nicht abgeschlossen (sind ja auch alles nur Mieträder idR) und alles geht einen Tick langsamer und relaxter von der Hand. Das touristische Angebot ist reduziert – im Hochsommer viel Tagestouristen ggf. auch mal ein Kreuzfahrer der mit seinen Leuten die Insel überschwemmt, aber in der Nachsaison und am Abend ist es wirklich ein herrlicher Ort, um mal runter zukommen und die Tage verstreichen zu lassen. Die Lokals fahren allerdings hier und da genauso rasant Auto wie in anderen Regionen ist mir aufgefallen. Einige Mietbikes haben kein Licht – Vorsicht bei Nacht! Es kann stockfinster werden. Sollte man beim Biken insb. auf der Hauptstrasse berücksichtigen … . Mich wird die Insel so schnell nicht loslassen – insbesondere zu den stürmischen Zeiten will ich wieder hin. Schade, dass Ouessant so weit weg ist ;). Mtk, Sören